Brüssels Kapitulation: Wie Trump und Big Tech den EU AI Act aushebeln

Follow on LinkedIn

Die EU feierte sich noch im August als Vorreiter der KI-Regulierung. Der AI Act sollte der Welt zeigen, wie man künstliche Intelligenz zähmt. Jetzt die Kehrtwende: Brüssel diskutiert eine einjährige «Gnadenfrist» für zentrale Teile des AI Act – noch bevor die wichtigsten Regeln überhaupt greifen.

Europa schiesst sich selbst ins Knie

Der AI Act war von Anfang an ein Bürokratiemonster, das Europas eigene KI-Industrie zu ersticken drohte. 46 CEOs europäischer Konzerne – darunter Airbus, Mercedes-Benz, Lufthansa und ASML – warnen in einem offenen Brief, dass die «unklaren, überlappenden und zunehmend komplexen EU-Vorschriften»“ Europas KI-Ambitionen gefährden.

Die Unternehmen haben recht: Während USA und China durchstarten, legte sich Europa selbst in Ketten. Die Regeln für General-Purpose AI Modelle waren derart komplex, dass selbst die Compliance-Abteilungen der Grosskonzerne aufgaben. Besonders absurd: Ausgerechnet die Technologie, die Europa nicht einmal selbst entwickelt, wollte man bis ins kleinste Detail regulieren.

Statt aus eigener Einsicht nachzubessern, knickt Brüssel jetzt unter externem Druck ein.

Die drei Druckpunkte

Der Trump-Faktor

Trump droht mit Strafzöllen gegen Länder, deren Tech-Regulierung «amerikanische Technologie diskriminiert». Die EU führt daraufhin «konstante Kontakte» mit Washington. Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer Silicon Valley reguliert, bekommt es mit amerikanischen Handelssanktionen zu tun.

Big Techs offene Rebellion

Meta weigert sich als einziger Tech-Gigant demonstrativ, den EU Code of Practice zu unterzeichnen. Joel Kaplan, Metas Chief Global Affairs Officer, sagt unverblümt: «Europa geht den falschen Weg bei KI.» Während OpenAI und Microsoft noch mitspielen, sendet Meta ein klares Signal: Man kann sich der EU widersetzen, wenn man gross genug ist.

Das Kalkül geht auf. Ein hochrangiger EU-Beamter bestätigt, dass Brüssel mit der Trump-Administration über «Anpassungen» des AI Act verhandelt. Meta zeigt den anderen Tech-Konzernen: Widerstand lohnt sich.

Europas eigene Industrie macht Druck

Der Brief der 46 CEOs liest sich wie ein Alarmruf. Die Unterzeichner repräsentieren einen Marktwert von etwa drei Billionen Dollar und beschäftigen Hunderttausende in der EU. Ihre Forderung: Zwei Jahre Pause für den AI Act. Ihr Argument: Sonst ist Europa aus dem globalen KI-Rennen raus.

Was jetzt verwässert werden soll

Die EU-Kommission erwägt, Unternehmen mit High-Risk AI-Systemen eine einjährige «Gnadenfrist» zu gewähren. Strafen für Transparenzverstösse würden erst ab August 2027 greifen statt wie geplant 2026.

Das betrifft konkret:

  • High-Risk AI in Bereichen wie Gesundheit, Polizei und Beschäftigung bekommt ein Jahr Aufschub
  • Transparenzpflichten werden um zwei Jahre nach hinten geschoben
  • General-Purpose AI Modelle wie ChatGPT oder Claude erhalten weitere Erleichterungen

Genau die Bereiche also, wo KI den grössten gesellschaftlichen Impact hat – Gesundheit, Sicherheit, Arbeitsmarkt –sollen weniger streng reguliert werden.

Die unbequeme Wahrheit

Der AI Act war schon immer realitätsfern. Selbst Kritiker aus der Zivilgesellschaft räumen ein, dass die Verzögerungen «vorhersehbar und vermeidbar» waren. Europa wollte eine Technologie regulieren, die es selbst kaum entwickelt. Von den führenden KI-Modellen kommt kein einziges aus Europa.

Aber die Art, wie Brüssel jetzt zurückrudert, ist keine Sternstunde. Statt den Mut zu haben, eigene Fehler einzugestehen und intelligent zu korrigieren, lässt man sich von Trump und Zuckerberg vorführen. Die «Digital Omnibus»-Massnahmen, die am 19. November vorgestellt werden sollen, sind keine durchdachte Vereinfachung, sondern eine Kapitulation unter Druck.

Europa verliert auf allen Ebenen

Der AI Act sollte Europas Fähigkeit demonstrieren, globale Standards zu setzen. Stattdessen offenbart er fundamentale Schwächen:

Erstens die Überregulierung, die eigene Innovationen abwürgt statt sie zu fördern. Zweitens der mangelnde Durchsetzungswille – beim ersten Gegenwind wird eingeknickt. Drittens die fehlende technologische Souveränität – ohne eigene Tech-Champions ist man erpressbar.

In der KI-Ära gewinnt nicht, wer die umfangreichsten Regelwerke verfasst, sondern wer die Technologie beherrscht.

Am 19. November wird die EU-Kommission ihre überarbeiteten Vorschläge präsentieren.

Rolf Jeger, ein preisgekrönter Werber mit Ehrungen aus Cannes bis New York, verband früh seine Leidenschaft für Technologie mit unternehmerischem Geschick. Mit 15 Jahren programmierte er Software für den Commodore 64, die in Schweizer Filialen landete. Nach einer Banklehre siegte jedoch die Faszination fürs Marketing. Seine Arbeit für die Swissair markierte den Auftakt einer beeindruckenden Karriere in der Kommunikation. Heute leitet er eine Agentur in Zürich, wo er Marketing und IT in der Ära der digitalen Transformation vereint. Die KI-Revolution, die nun den Massenmarkt erreicht, inspiriert ihn so sehr, dass er sie nicht nur beruflich nutzt, sondern auch Bücher darüber schreibt.